Der 2. Strafsenat des BGH (2 StR 495/12) hat bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob sie sich seiner Rechtsansicht anschließen, wonach die so genannte „ungleichartige Wahlfeststellung“ gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafgesetzen verstößt.
Bei der „ungleichartigen Wahlfeststellung“ handelt es sich um eine in engen Grenzen bereits vom Reichsgericht anerkannte, auf richterlicher Rechtsfortbildung beruhende Rechtsfigur. Danach kann ein Beschuldigter „wahlweise“, also wegen Verstoßes entweder gegen das eine oder gegen das andere Strafgesetz verurteilt werden, wenn nach Durchführung der Beweisaufnahme offen bleibt, welchen von beiden Tatbeständen er verwirklicht hat, und die Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass keiner von beiden erfüllt wurde. Entwickelt wurde diese Verurteilungsmöglichkeit ursprünglich für Fälle, in denen ungeklärt bleibt, ob ein Beschuldigter, bei dem gestohlene Sachen gefunden werden, diese selbst gestohlen (Diebstahl) oder von dem Dieb erworben hat (Hehlerei); beide Tatbestände schließen sich aus. Nach bisher ständiger Rechtsprechung auch des BGH kann aber eine „wahlweise“ Verurteilung erfolgen, da beide Taten „rechtsethisch und psychologisch vergleichbar“ seien. Im Laufe der Jahre wurde die Figur der ungleichartigen Wahlfeststellung – unter dieser Voraussetzung – auf zahlreiche andere Tatbestandspaare ausgedehnt.
Eine „wahlweise Verurteilung“ steht in einem Spannungsverhältnis zu der Verfassungsgarantie des Art. 103 Abs. 2 GG, wonach der Schuldspruch wegen einer Straftat auf den Verstoß gegen ein „bestimmtes“ Gesetz gestützt sein muss. Eine „Analogie“ zu Lasten des Beschuldigten, also eine Verurteilung wegen eines nur „ähnlichen“ Verstoßes, ist unzulässig. Eine zwischenzeitliche gesetzliche Regelung wurde 1946 aufgehoben.
Der 2. Strafsenat des BGH vertritt die Auffassung, dass die Wahlfeststellung auch in der reduzierten Form, in welcher sie seit 1950 vom BGH wieder als zulässig angesehen wurde, gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt, weil es sich nicht nur um eine prozessuale Entscheidungsregel, sondern um eine sachlich-rechtliche Strafbarkeitsregel handele, die dem Gesetzesvorbehalt unterliege. Er hat deshalb auf die Revision eines Angeklagten, der vom LG Meiningen „wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei“ in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war, die Verhandlung unterbrochen und gemäß § 132 Abs. 3 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob sie sich dieser Rechtsansicht anschließen oder an ihrer bisherigen, entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten. Im letzteren Fäll könnte der anfragende 2. Strafsenat, wenn er an seiner Ansicht festhalten will, die Sache dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorlegen.
Vorinstanz
LG Meiningen, Entsch. v. 30.05.2012 – 110 Js 19 545/12 – 1 KLs
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