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„Babymordprozess“: Neun Jahre Haft für Mutter wegen Tötung ihres Babys

Das LG Limburg hat in einem Indizienprozess eine 23-jährige Mutter wegen Tötung ihres neugeborenen Babys zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.

Die Angeklagte hatte am 01.12.2015 im St. Joseph-Krankenhaus in Gießen um 10:59 Uhr ein völlig gesundes Mädchen mit einer Körperlänge von 50 cm und einem Gewicht von 2950 g geboren. Sie verließ gegen 15.10 Uhr mit dem in einem karierten Burberry-Schal eingewickelten Neugeborenen die Klinik. Gegen 20.15 Uhr/20.30 Uhr kehrte ihr damaliger Freund H. in die gemeinsame Wohnung auf dem Anwesen seiner Familie in Waldsolms zurück. Er traf auf eine Angeklagte, die sich verhielt, als sei an diesem Tag nichts Besonderes geschehen. Von dem neugeborenen Kind fehlt seither jede Spur. Weder ist eine Leiche gefunden worden, noch gibt es Zeugen einer etwaigen Tötungshandlung oder Sachbeweise, die auf eine Tötung hindeuten.

Das LG Limburg hat die Angeklagte nach einer intensiven Beweisaufnahme über 23 Sitzungstage und nach Vernehmung von 74 Zeugen sowie Anhörung von zwei Sachverständigen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren wegen Totschlags verurteilt.

Auch wenn das Kind bis heute verschwunden ist, ist das Landgericht davon überzeugt, dass die Angeklagte ihr Kind getötet und sich der Leiche entledigt hat. Diese Überzeugung beruhe auf einer umfassenden Aufklärung der Persönlichkeit der Angeklagten, ihrer beiden vorangegangenen Geburten und den Geschehnissen vor und nach der Geburt des Kindes. In der Gesamtschau bleibe keine andere Möglichkeit als die Tötung des Kindes.

Ein plötzlicher natürlicher Tod des Kindes während der Heimfahrt von der Klinik aufgrund einer angeborenen Disposition oder Erkrankung sei auszuschließen. Nach den Angaben der Ärzte und des Pflegepersonals war das Baby „kerngesund“ alle seine Lebenszeichen sehr positiv. Man sprach in dem Krankenhaus sogar von einer „Geburt des Jahres“. Das Kind war allein nicht lebensfähig. Es wurde nicht in eine Babyklappe gelegt. Angesichts der kurzen Zeit zwischen Verlassen der Klinik und dem Zusammentreffen auf den Freund H. am frühen Abend kamen nur wenige Babyklappen in Betracht, die die Polizei alle sehr sorgfältig mit negativem Ergebnis überprüft habe. Das Kind wurde auch nicht offen (z.B. vor einer Kirche) ausgesetzt, da dies bekannt geworden wäre.

Die Angabe der Angeklagte am Tag ihrer Festnahme, sie habe das Kind dem vorgeblichen Kindsvater namens Jay Jay übergeben, habe sich als eine Fantasiegeschichte erwiesen. Angesichts ihrer Darstellung, sie habe seit einen Geschlechtsverkehr auf der Toilette einer Diskothek mit diesem Mann keinen Kontakt mehr gehabt, bis sie ihm das Kinde überlassen habe, sei schon für sich genommen „abenteuerlich“. Auch habe die Angeklagte keinen Kontakt mit einem Dritten gehabt, der auf die Vereinbarung eines Treffens hindeute. In ihrer polizeilichen Vernehmung habe die Angeklagte zunächst angegeben, über ihr Handy den Kontakt hergestellt zu haben. Auf Vorhalt, das Handy könne ausgewertet werden, habe sie dann angegeben, eine Telefonzelle genutzt zu haben. Die Frage, welche Telefonzelle sie genutzt habe, habe sie gegenüber den vernehmenden Polizeibeamten nicht mehr beantwortet. Tatsächlich fänden sich auf ihrem Handy keine Anhaltspunkte für eine Kontaktaufnahme mit dem angeblichen Kindsvater. Die Polizei in Wetzlar habe sehr sorgfältig und mit größtem Aufwand, ohne das ein verwertbarer Hinweis auf seine Existenz gefunden werden konnte.

Demgegenüber spreche das in der Hauptverhandlung zu Tage getretene Persönlichkeitsbild der Angeklagten dafür, dass sie ihr Kind getötet hatte. Sie hatte den festen Entschluss, mit keinem weiteren Kind „belastet“ zu werden. Schon ihre beiden vorgehenden Schwangerschaften und Geburten hatte sie verheimlicht. Ihr Versuch, sich von ihrer erstgeborenen Tochter durch eine Adoptionsfreigabe zu trennen, scheiterte an dem massiven Eingreifen ihrer Mutter. Von dem anschließend geborenen Sohn vermochte sie sich ebenso wenig zu trennen. Ihre zu diesem Zweck erfundene Geschichte einer Vergewaltigung wurde ihr widerlegt.

Da die Angeklagte angesichts dessen keine andere Möglichkeit sah, der „Belastung“ mit einem weiteren Kind zu entgehen, hat sie sich zur Überzeugung des Landgerichts dazu entschlossen, ihr Neugeborenes nicht nur irgendwo alleine und unversorgt zurückzulassen, sondern es durch aktives Tun zu töten. Das folge daraus, dass die Angeklagte sehr resolut und durchsetzungsstark sei und nur eine aktive Tötung mit einem sicheren Verbergen der Leiche aus ihrer Sicht sicher stellen konnte, dass ihre Tat nicht entdeckt werde. Auf welche der zahlreichen denkbaren Arten die Angeklagte sich des Leichnams entledigt und wie sie ihn versteckt habe, war in dem Verfahren allerdings nicht aufzuklären.

Die Angeklagte habe sich ausschließlich des Totschlags und nicht des Mordes schuldig gemacht. Die Mordmerkmale Heimtücke oder niedrige Beweggründe waren nicht festzustellen. Hätte die Angeklagte den Tötungsentschluss bereits bei Aufsuchen des Krankenhauses gefasst, so hätte Heimtücke vorliegen können, weil sie dann den Krankenhausmitarbeitern als schutzbereiten Dritten ihr Vorgehen verheimlicht hätte. Hier spreche indessen einiges dafür, dass die Angeklagte ihren Tatentschluss erst nach Verlassen des Krankenhauses gefasst habe. So habe sie ihre Versicherungskarte mitgebracht und ihre Personalien zutreffend angegeben, um so Behandlung und Entlassung sicherzustellen. Für einen erst spät gefassten Tatentschluss sprächen auch ihre Persönlichkeit und ihre bisherige Verhaltensstrategien. Die Angeklagte plane eigentlich nicht. Sie reagiere häufig nur, wenn es unangenehm werde. Dann gebrauche sie auch Lügen, selbst wenn diese sehr wahrscheinlich aufgedeckt werden könnten. Nach dem eingeholten psychiatrischen Gutachten verfüge sie kaum über Konfliktlösungsstrategien, sei bei Misserfolgen schambesetzt und tendiere dazu, Probleme nicht anzusprechen, sondern zu verheimlichen.

Niedere Beweggründe kämen nach Aufhebung des § 217 StGB (Kindestötung) gemäß der Rechtsprechung des BGH in Fällen der Tötung eines neugeborenen Kindes durch die Kindesmutter nur noch ausnahmsweise in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt. Das vermochte das Landgericht nach einer eingehenden Bewertung der Gesamtsituation der Angeklagten nicht festzustellen.

Quelle: Pressemitteilung des LG Limburg v. 20.07.2017

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