Die von der Bundesregierung angedachten Maßnahmen in Zuge der Novellierung der Straßenverkehrsordnung (StVO) stoßen bei Experten teils auf Zustimmung, teils auf Ablehnung.
Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am 25.09.2019 deutlich, bei der auch über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 19/8980 – PDF, 213 KB) diskutiert wurde. Mit der StVO-Novelle soll laut Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) u.a. auch eine Erhöhung der Geldbußen für das Parken in zweiter Reihe, auf Geh- und Radwegen sowie das Halten auf Schutzstreifen einhergehen. Außerdem soll ein Mindestüberholabstand von 1,5 m innerorts und von 2 m außerorts für das Überholen von Fußgängern und Radfahrern festgeschrieben sowie die Grünpfeilregelung auf Radfahrer ausgeweitet werden. Weiterhin soll das Nebeneinanderfahren von Radfahrern ausdrücklich erlaubt werden, „wenn der Verkehr dadurch nicht behindert wird“. Auf Schutzstreifen für den Radverkehr soll zudem künftig ein generelles Halteverbot gelten.
Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, sieht beim Nebeneinanderfahren von Radfahrern keinen Regelungsbedarf. Die Neuformulierung verschärfte eher den Konflikt zwischen Radfahrern und Autofahrern. Den Abbiegepfeil für Radfahrer bezeichnete er als Komfortverbesserung für Radfahrer, der jedoch keinen Sicherheitsgewinn für Fußgänger bringe. Was die Regelung angeht, wonach Lkw nur noch in Schrittgeschwindigkeit abbiegen dürfen sollen, gab Brockmann zu bedenken, dass damit ein Vollzugsdefizit entstehe. Um Abbiegeunfälle zu verhindern, werde das Abbiegeassistenzsystem benötigt, betonte er.
Andre Skupin von der Dekra Automobil GmbH sprach sich ebenfalls für eine verpflichtende Einführung des Abbiegeassistenzsystems für Fahrzeuge oberhalb von 3,5 Tonnen aus. Die Systeme seien verfügbar und könnten nachgerüstet werden, sagte er. Kritisch bewertete Skupin die Regelung, wonach Radfahrer an Kreuzungen an haltenden Fahrzeugen rechts vorbeifahren dürfen, wenn „ausreichend Platz“ vorhanden sei. Dieser ausreichende Platz sollte mit mindestens 1,5 m klar definiert werden, forderte er.
Isabell Eberlein vom Verein Changing Cities forderte ein grundsätzliches Umdenken. Verkehrssicherheit und Klimaschutz müssten zusammengedacht werden. Derzeit werde jedoch das Kfz in der StVO mit Vorrang bedacht. „Wir müssen aber die Verkehrsarten gleichstellen“, sagte sie. Eberlein sprach sich dafür aus, deutschlandweit eine Regelgeschwindigkeit innerorts von 30 km/h festzulegen, statt es nur bei Ausnahmen zu belassen. Damit könne auch die Aggressivität im Straßenverkehr gesenkt werden, sagte sie. Eine Umkehr der Regelung schlug sie auch für das Parken im öffentlichen Raum vor. Dieses sollte grundsätzlich verboten, und nur bei spezieller Beschilderung erlaubt sein.
Christian Kellner vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat wies daraufhin, dass die Überlebenschance für Fußgänger bei einer Kollision mit einem Auto bei Tempo 30 deutlich höher sei als bei Tempo 50. Einer bundesweiten Regelung für Tempo 30 innerorts stand er dennoch skeptisch gegenüber. Dafür brauche es mehr Forschung in festgelegten Modellregionen, sagte er und plädierte dafür, dass Kommunen eigenständig Tempo 30-Zonen ausweisen können. „Und zwar mehr als bisher.“
Ein absolutes Halteverbot in zweiter Reihe und auf Fahrradschutzstreifen kann aus Sicht von Markus Schäpe vom ADAC zu Problemen führen. Es sei dann nicht mehr möglich, betagte und gehbehinderte Menschen bis beispielsweise vor die Arztpraxis zu fahren, anzuhalten und sie dort aussteigen zu lassen. Auch die Situation von Paketauslieferern gelte es zu bedenken. Da ein solches Halten im Grunde immer eine Behinderung darstelle, drohten Bußgeldbescheide und Punkte.
Wolle man den Radverkehr tatsächlich verdreifachen oder gar vervierfachen, müsse er viel sicherer als heute werden, sagte Burkhard Stork vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Zugleich warnte er davor, Radverkehr und Fußverkehr gegeneinander auszuspielen. Eine Verschlimmbesserung sei es, wenn festgeschrieben werde, dass man sein Fahrrad nicht mehr am Straßenrand abstellen könne. „Das muss wieder raus“, sagte der ADFC-Vertreter.
Kerstin Hurek vom Auto Club Europa (ACE) kritisierte die geplante Freigabe der Busspuren für Pkw mit mehr als drei Insassen und Elektrokleinstfahrzeuge. Dadurch könne der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) an Attraktivität verlieren, sagte Hurek. Positiv äußerte sie sich zu den Schutzstreifen für Fahrradfahrer auf Landstraßen mit einer geringen Nutzung, bei denen der Bau von Fahrradwegen nicht vertretbar sei. Diese Schutzstreifen schafften mehr Aufmerksamkeit für Radfahrer.
Tilman Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik sah die Einführung eines Verkehrszeichens für Fahrradzonen als nicht erforderlich an, „da Fahrradstraßen streckenbezogen im Zuge von Fahrradrouten sinnvoll sind, jedoch nicht im Zuge einer Zonenregelung“. Alternativ sei zu empfehlen, dass Radfahrer in Tempo-30-Zonen generell nebeneinander fahren dürfen. Diese Regelung sei nicht nur wesentlich einfacher vermittelbar, „sondern würde auch ohne zusätzlichen Beschilderungsaufwand zum gleichen Ergebnis führen“, sagte Bracher.
hib – heute im bundestag Nr. 1043 v. 25.09.2019
Eine Antwort hinterlassen