Der BGH hat zwei Strafvollzugsbedienstete vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung nach Gewährung von Vollzugslockerungen freigesprochen, nachdem es infolge pflichtwidriger Unterbringung des Unfallverursachers im offenen Vollzug beziehungsweise der pflichtwidrigen Gewährung von Vollzugslockerungen zu einem tödlichen Verkehrsunfall gekommen war.
Nach den Feststellungen des LG Limburg hatten die in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten als Abteilungsleiter im Strafvollzug tätigen Angeklagten einem bereits vielfach wegen Verkehrsdelikten vorbestraften Strafgefangenen offenen Vollzug und dort weitere Lockerungen in Form von Ausgängen gewährt, ihm u.a. aber auferlegt, kein Fahrzeug zu führen. Während eines Ausgangs hatte der Strafgefangene ohne Fahrerlaubnis ein Fahrzeug geführt, war in eine Polizeikontrolle geraten und sodann geflüchtet. Dabei lenkte er trotz eines Rammversuchs durch die Polizei sein Fahrzeug bewusst auf die Gegenfahrbahn einer vierspurigen Bundesstraße und setzte dort seine Flucht als „Geisterfahrer“ fort, wobei ihm nunmehr die Polizei mit zwei Fahrzeugen auf gleicher Fahrbahn folgte. Er stieß mit dem Fahrzeug einer 21-jährigen Frau zusammen, die ihren tödlichen Verletzungen erlag. Der Strafgefangene ist wegen dieser Tat u.a. wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Das Landgericht hatte die beiden Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Der BGH hat auf die Revision der Angeklagten dieses Urteil aufgehoben und die Angeklagten freigesprochen.
Nach Auffassung des BGH waren nach den rechtsfehlerfrei und umfassend getroffenen Feststellungen die Entscheidungen, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen zu gewähren, nicht sorgfaltspflichtwidrig. Vollzugsbedienstete hätten bei jeder Entscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit einerseits und dem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse eines Strafgefangenen andererseits abzuwägen. Die Angeklagten hätten hier auf einer den Landesbestimmungen für den Strafvollzug entsprechenden Entscheidungsgrundlage entschieden; Anlass, weitere Informationen einzuholen, habe für die Angeklagten hier insoweit nicht bestanden. Sie hätten – aus der maßgeblichen Sicht zum damaligen Zeitpunkt – alle relevanten für und gegen eine Vollzugslockerung sprechenden Aspekte berücksichtigt und den mit Entscheidungen über Vollzugslockerungen verbundenen Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Ob im weiteren Vollzugsverlauf den gebotenen Kontroll- und Überwachungspflichten ausreichend nachgekommen wurde, habe der BGH nicht entscheiden müssen. Denn eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung komme nach der Rechtsprechung des BGH dann nicht in Betracht, wenn das zum Tod führende Geschehen so sehr außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liege, dass mit ihm nicht gerechnet werden könne oder müsse. Der hier vom Landgericht erschöpfend festgestellte Fluchtablauf, bei dem der Strafgefangene auch das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit verwirklicht habe, sei in diesem Rechtssinne nicht vorhersehbar gewesen.
Vorinstanz
LG Limburg, Urt. v. 07.06.2018 – 5 KLs 3 Js 11612/16
Pressemitteilung des BGH Nr. 152/2019 v. 26.11.2019
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