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Rezension zum „Arztstrafrecht in der Praxis“ in der 6. Auflage von Ulsenheimer/Gaede

Das von Professor Ulsenheimer begründete Werk, das ab der hier vorliegenden 6. Auflage von Professor Gaede weitergeführt wird, ist eine verpflichtende Lektüre für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die auf dem Gebiet des Arztstrafrechtes tätig sind. Die 6. Auflage ist Ende des Jahres 2020 herausgekommen.

Das umfangreiche und hochaktuell gehaltene Werk, welches mittlerweile gute 1200 Seiten umfasst, deckt nicht nur die Bereiche ab, die für gewöhnlich und häufig in der Praxis vorkommen, sondern beschäftigt sich auch mit Gebieten, mit denen man wohl eher seltener zu tun hat. Diesen Punkt erachte ich für gut und wichtig. Das Werk leuchtet das Thema Arztstrafrecht in allen Ecken aus und befasst sich eben auch mit Nebengebieten, wobei es hier einen guten Überblick gibt, der teilweise auch dort, wo es nötig ist, in die Tiefe geht.

1.
Das Thema der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung wird sehr ausführlich bearbeitet. Das ist vernünftig, da diese Delikte neben den Themen des Abrechnungsbetruges nach meiner Einschätzung wohl mit am Häufigsten in der Praxis der Strafverteidigung vorkommen dürften. Durch diese ausführliche Aufgliederung kann hier zu annähernd jeder denkbaren Konstellation nachgeschlagen, Argumentationshilfe und auch entsprechende Rechtsprechung gefunden werden.

Beispielsweise werden hier die Bestimmung der objektiv gebotenen Sorgfalt aus der ex ante Sicht und das oft relevante Thema des „Facharztstandarts“ ausführlich behandelt.
Auch der Einfluss der Ressourcenknappheiten auf den medizinischen Standart wird aus aktuell gegebenen Gründen thematisiert.

Hilfreich für den Praktiker ist hier die große Auffächerung von möglichen Einzelfällen und Problematiken in der Praxis. Natürlich kann das Buch nicht jeden denkbaren ärztlichen Behandlungsfehler anhand konkreter Fallbeispiele aufzeigen; es ermöglicht aber eine hervorragende Hilfestellung, indem es durch eine abstrakt generelle Systematisierung unter Bildung von Untergruppen die Vielfalt der möglichen Pflichtverstöße übersichtlich und anschaulich aufzeigt. Es beginnt bei den klassischen und häufigeren Diagnosefehlern, geht weiter über den Kontroll- und Überwachungsfehler, dem Zurücklassen von Fremdkörpern im Operationsgebiet, fehlender oder unzulänglicher Voruntersuchung bzw. Anamnese, die Nichterhebung von Befunden, der falschen Methodenwahl, um nur einige zu nennen.

2.
Themen der ärztlichen Sterbehilfe, des Behandlungsabbruches, der Beihilfe zum Suizid sind aktuell in aller Munde und dies dürfte nach meiner Einschätzung zumindest für die kommenden Jahre auch so bleiben. Das Werk befaßt sich daher folgerichtig und ausführlich mit der Entwicklung der Rechtsprechung bis zu den ganz aktuellen Entscheidungen des BGH aus 2019 und des BVerfG aus Februar 2020.

Weshalb diese Thematik so an Bedeutung gewinnt kann man unter anderem anschaulich in der folgenden, auch in dem Buch genannten Entscheidung des BGH erkennen:

Nicht alles medizinisch Machbare muss auch gemacht werden, vielmehr bestimmt nicht die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenzen ärztlicher Behandlungspflichten (BGHSt 32, 367, 380).

Und genau hier fangen die Probleme an, mit denen sich das Buch dann auch auseinandersetzt. Denn es hat sich in den letzten Jahren gerade im medizintechnischen Bereich sehr viel getan und die sehr lange in der Medizin übereinstimmende Vorstellung, alle therapeutischen Maßnahmen konsequent auszuschöpfen, um Leben um jeden Preis zu erhalten, ist heute in dieser Form oft nicht mehr gewünscht und auch nicht um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Dies ist eindrucksvoll daran zu sehen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten seit Jahren eine ständig zunehmende Bedeutung erlangt – Stichwort Patientenverfügung.
Auch dieser Punkt wird von den Autoren behandelt, denn im Alltag ist die Erforschung des mutmaßlichen Patientenwillen aus mannigfaltigen Gründen häufig nicht nur schwer, sondern oft unmöglich. Die Autoren gehen hier auch auf die Punkte der Betreuerbestellung und der Vorsorgevollmacht ein, die ebenfalls in der Praxis eine immer größere Rolle spielen und das nicht nur für den Strafverteidiger.

Im Hinblick auf die medizinischen Fortschritte dürfte dieses Kapitel in Zukunft noch deutlich an Bedeutung gewinnen. Das Thema der Sterbehilfe beschäftigt nicht nur Juristen, sondern treibt auch viele Ärzte um.

Bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu § 217 (BVerfG Urteil v. 20.2.2020) war es wohl Konsens, dass das Grundgesetz kein Recht auf Selbsttötung anerkennt.
Nach den aktuellen Entscheidungen ist es nicht mehr so, dass die Mitwirkung eines anderen am Freitod eines Menschen von der Rechtsordnung grundsätzlich missbilligt wird.
Nicht nur der (besondere) Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts, sondern auch andere Themen, die hier eine Rolle spielen, werden durch die Autoren mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung ausführlich dargelegt und es wird auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum ärztlich assistierten Suizid ausführlich behandelt.

Dieses Urteil sehen die Autoren nicht als Endpunkt, sondern als Anfang einer Austarierung von Inhalt und Grenzen der Suizidbeihilfe. Und auch wenn die Autoren die bis dato erfolgte Entwicklung nicht als alle Widersprüche aufhebend ansehen, so geht damit eine Anerkennung der Realität einher, nämlich, dass das Sterben nicht normierbar ist und Krankheitsverläufe immer individuell sind.

Am Ende des Kapitels befasst sich das Buch mit der im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu stellenden Frage der Anpassung des Betäubungsmittelrechtes und gibt einen Ausblick auf die Zukunft.

3.
Neben häufiger in der Praxis aufkommenden Themen werden aber auch Gebiete behandelt, die vielen Strafverteidigern vielleicht noch nie untergekommen sind und das Werk eben in jeder Hinsicht komplett machen. Dazu gehören die Behandlung der strafrechtlichen Probleme der Organ-und Gewebetransplantation, der Strafbarkeitsrisiken der Fortpflanzungsmedizin und der Forschung an Embryonen und Stammzellen. Wer hier einen soliden Einstieg benötigt, ist mit diesem Buch bestens versorgt. Das Werk befaßt sich neben dem „Klassiker“ der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht auch mit dem neuen Sanktionsregime der DSVGO. Aktualität ist somit auch an dieser Stelle gegeben.

4.
Selbstredend werden die Korruptionsdelikte im Gesundheitswesen ausführlich und unter Zugrundelegung aktueller Rechtsprechung in den Blick genommen.
Die Autoren erkennen, dass in bestimmten Teilen des Gesundheitswesens die bestehenden Risiken noch gar nicht völlig erkannt sind, was auch damit zusammenhängt, dass zahlreiche Rechtsfragen der einschlägigen neuen Tatbestände und damit ihre Reichweite bislang noch ungeklärt sind. Dies betrifft die neu eingefügten Spezialtatbestände §§ 299a, 299b StGB, bei denen es bislang noch keine orientierende und gefestigte Rechtsprechung gibt.

5.
In Teil 14 wird der Abrechnungsbetrug behandelt, der zu Recht als Kerndelikt des heute omnipräsenten Medizinwirtschaftsstrafrechts bezeichnet wird. Er stellt in der Tat den Hauptaufgabenbereich dar, dem sich mittlerweile viele Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die es nicht nur in Frankfurt, die als eine der ersten gebildet wurde, widmen und darauf spezialisiert sind.

6.
In Teil 16 werden dann strafrechtliche Fragen des Infektionsschutzes und von Pandemien behandelt, die aktueller wohl kaum sein könnten. Und zu guter Letzt werden dann die Funktionen des Anwaltes in Arztstrafsachen aus Verteidigersicht in den einzelnen Verfahrensabschnitten behandelt und runden das Werk für den Praktiker dann noch mit den Rechtsfolgen arztstrafrechtlicher Vergehen ab.

Das Werk Arztstrafrecht in der Praxis hat durch die Jahre und die mittlerweile 6. Auflage eine Tiefe und einen Umfang erreicht, wodurch man es getrost als erste Anlaufstelle und sicheren Hafen im Bereich der Bearbeitung arztstrafrechtlicher Mandate bezeichnen kann.

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