Mit dem von Beginn an umstrittenen „Gesetz zur Wiederherstellung der materiellen Gerechtigkeit“ war die Erweiterung des § 362 Abs. 1 StPO um Ziffer 5 gekommen. Diese trat Ende 2021 in Kraft. Demnach soll eine Wiederaufnahme eines Falles zuungunsten eines Angeklagten auch dann möglich sein, wenn neue Tatsachen oder Beweise dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes, Völkermordes und anderer schwerster Verbrechen verurteilt wird. Bis zu dieser Änderung der Strafprozessordnung war das nur bei schweren Verfahrensfehlern möglich oder dann, wenn der Freigesprochene im Nachhinein ein Geständnis ablegte.
Das BVerfG urteilte nun: Nur auf Basis neuer Beweise können freigesprochene Verdächtige nicht noch einmal für dieselbe Tat angeklagt werden. Die Reform sei verfassungswidrig (Az. 2 BvR 900/22). Geklagt hatte ein Mann, der 1981 eine Schülerin in Niedersachsen umgebracht haben soll und auf Basis neuer Beweise erneut angeklagt wurde.
Konkreter Anlass für die Prüfung durch das höchste deutsche Gericht ist der Mordfall Frederike. Ein Mann wird verdächtigt, 1981 die 17-Jährige aus Hambühren bei Celle vergewaltigt und erstochen zu haben. Das konnte ihm damals nicht nachgewiesen werden. 1983 wurde er rechtskräftig freigesprochen. Nach einer neuen DNA-Untersuchung könnte er aber der Täter sein. Ihm sollte der Prozess gemacht werden, doch er legte Verfassungsbeschwerde ein. Das höchste deutsche Gericht verfügte nach einem Eilantrag seine Freilassung aus der Untersuchungshaft, nun muss das Wiederaufnahmeverfahren gegen ihn beendet werden, sagte die Senatsvorsitzende Doris König bei der Urteilsverkündung am Dienstagmorgen.
BVerfG, Urteil vom 31.10.2023 – 2 BvR 900/22
Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 31. Oktober 2023
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