Zwölf Sachverständige nahmen zu den vier Gruppen-Gesetzentwürfen Stellung, die sich vor allem auf die Frage der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid beziehen.
Der überwiegende Teil der geladenen Experten sprach sich für den Entwurf der Gruppe von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) sowie 208 weiteren Abgeordneten (BT-Drs. 18/5373 – PDF, 255 KB) aus. Er sieht vor, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Das beträfe sowohl Sterbehilfevereine als auch Mediziner, die ein solches Angebot als quasi normale Behandlungsoption anböten. Beihilfe im Freundes- oder Angehörigenkreis wäre nicht betroffen.
Ruth Rissing-van Saan, Richterin am BGH a.D., argumentierte wie auch andere, dass sich aus der Verfassung keine „Pflicht zum Leben“ ableiten ließe. Entsprechend seien die freiverantwortliche Selbsttötung und auch die Teilnahme daran nicht unter Strafe zu stellen, wenn es sich im Hinblick auf die Teilnahme um einen individuellen, zwischenmenschlichen Akt handle. Es könne aber bei Suizidwilligen nicht immer von einem freiverantwortlichen Verhalten ausgegangen werden, daher bestehe auch ein „legitimes Schutzinteresse“ daran, eine übereilte Selbsttötung zu verhindern. Daher sei ein Verbot der geschäftsmäßigen, auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe geboten.
Bischof a.D. Wolfgang Huber warnte davor, durch gesetzliche Regelungen die standesrechtlichen Vorgaben der Ärzteschaft zu untergraben, wie es die Entwürfe der Gruppe von Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) und 105 weiteren Abgeordneten (BT-Drs. 18/5374 – PDF, 202 KB) sowie Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Sitte (Die Linke) und 51 weiteren Abgeordneten (18/5375 – PDF, 237 KB) vorsehen. Diese standesrechtlichen Regelungen fielen in Hinblick auf Suizidbeihilfe überwiegend enger aus als das, was rechtlich möglich wäre. Das sei aber kein Problem, sondern ein gesellschaftlich begrüßenswerter Vorgang, sagte Huber. Denn schon die geschäftsmäßige Organisation von Sterbehilfe, auch ohne kommerzielle Absicht, sei ethisch problematisch, da sie eine explizite oder auch implizite Werbung für den Suizid bedeute. Die Gesellschaft dürfe das nicht hinnehmen, sagte Huber.
Gegen eine strafrechtliche Regelung und für den Entwurf der Gruppe Hintze-Reimann sprach sich der Rechtswissenschaftler Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg aus. Er kritisierte am Brand-Griese-Entwurf, dass durch das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit auch Mediziner im Palliativ- und Hospizbereich unter Verdacht geraten könnten. Der Schaden durch eine Kriminalisierung der Suizidbeihilfe sei größer als deren Nutzen, sagte Hilgendorf. Es bedürfe vielmehr eines Ausbaus der standesrechtlichen Regelungen und der Sicherung der ärztlichen Gewissensfreiheit.
Palliativmediziner Matthias Thöns aus Witten berichtete, dass schon nach aktueller Rechtslage mehrfach gegen ihn ermittelt worden sei. Eine strafrechtliche Regelung könne die ambulante Palliativmedizin daher zerstören. Eine solche Regelung sei auch nur von einer Minderheit der betroffenen Ärzte gewollt. Die Gewissheit, dass er im Zweifelsfall auch beim Suizid helfen könne, wirke Wunder für seine Patienten, sagte Thöns.
Stephan Sahm, Palliativmediziner und Medizinethiker aus Offenbach, betonte, dass sich die Suizidhandlung einer moralischen Bewertung entziehe. In diesem Feld sei „Enthaltung“ angesagt. Würden Ärzte geschäftsmäßig Suizidbeihilfe anbieten, werde damit hingegen gesellschaftliche Akzeptanz suggeriert. Die Geschäftsmäßigkeit könne zur Gefährdung vieler Menschen führen. Sie müsse daher unter Strafe gestellt werden.
Christian Hilgruber, Rechtswissenschaftler an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, sprach sich für ein striktes Verbot der Suizidbeihilfe aus, wie es auch der Gesetzentwurf der Gruppe von Patrick Sensburg (CDU), Thomas Dörflinger (CDU) und 33 weiteren Abgeordneten (18/5376) vorsehe. Das Problem liege in der Sache selbst und nicht in der Art des Geschäftsmodells, daher sei nicht nur kommerzielle sowie geschäftsmäßige Suizidbeihilfe problematisch, sondern auch jene im Familien- und Angehörigenkreis. Auch hier sei Selbstlosigkeit beim Helfenden nicht immer gegeben, folglich bestehe auch in der Familie eine „strukturelle Gefährdung der Autonomie“. Für Grenzsituationen sehe das Straf- und Strafprozessrecht Möglichkeiten vor, von einer Strafverfolgung abzusehen. In Hinblick auf die Entwürfe von Hintze-Reimann und Künast-Sitte sprach Hilgruber davon, dass „offensichtlich“ die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht gegeben sei, sie liege bei den Ländern.
Dem widersprach Reinhard Merkel, Rechtswissenschaftler von der Universität Hamburg. Er kritisierte zudem die Annahme, dass durch organisierte Sterbehilfe Druck entstehe. Dies müsse, gerade wenn der Gesetzgeber im Strafrecht tätig werden wolle, wissenschaftlich abgesichert werden. Merkel warnte zudem davor, Ärzte aus dem Suizidgeschehen auszuschließen. Damit werde eine „riesige Chance der Suizidprävention“ verschenkt.
Quelle: hib – heute im bundestag Nr. 470 v. 23.09.2015
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