Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe auch nach mehr als 50 Jahren Haft nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Der Beschwerdeführer war durch Urteil des LG Berlin vom 30.05.1963 wegen zweifachen Mordes u.a. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden und befindet sich seither ununterbrochen in Haft.
Das OLG Karlsruhe hat die sofortige Beschwerde des Verurteilten, die sich gegen eine die Strafaussetzung zur Bewährung ablehnende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer Karlsruhe richtete, zurückgewiesen.
Nach persönlicher Anhörung des mittlerweile 77 Jahre alten Verurteilten und des psychiatrischen Sachverständigen gelangte das Oberlandesgerichts zu der Auffassung, dass von dem trotz seines fortgeschrittenen Alters vitalen und agilen Verurteilten im Falle einer bedingten Entlassung aus der Strafhaft mit Wahrscheinlichkeit die Begehung schwerer Gewaltdelikte oder ähnlich schwerwiegender Straftaten zu erwarten sind, so dass die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung nach §§ 57, 57a StGB – auch unter Berücksichtigung des in Anbetracht der Dauer der Inhaftierung gewichtigen Freiheitsanspruchs des Verurteilten – weiterhin nicht zu verantworten ist. Gestützt auf das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen sei das Oberlandesgericht davon überzeugt, dass die in der Tat zum Ausdruck gekommene problematische Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten trotz langjähriger Inhaftierung unverändert fortbestehe und sich hieraus die Gefahr der Begehung von neuen schwerwiegenden Gewaltdelikten ergebe. Es sei zu befürchten, dass der Verurteilte im Falle einer Entlassung in die kriminelle Subkultur, in die er bereits während der Haft durchgehend eingebunden gewesen sei, sowie in das Drogenmilieu abgleiten werde. Der Verurteilte verfüge über keinerlei tragfähige und ihn stabilisierende soziale Kontakte und es könne auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein solcher sozialer und protektiver Empfangsraum geschaffen werden könnte. Die Bemühungen der Justizvollzugsanstalt und des Gerichts, den Verurteilten nach entsprechenden entlassvorbereitenden Maßnahmen im Falle seiner bedingten Entlassung in eine betreute Wohneinrichtung mit strukturierten Rahmenbedingungen zu vermitteln, seien schon deshalb erfolglos geblieben, weil der Verurteilte – wie er im Rahmen der Anhörung vor dem Oberlandesgericht nochmals ausdrücklich bekundet habe – dort nicht leben wolle. Diese Lebensplanung bedinge jedoch das Risiko einer zu erwartenden Rückkehr und Eingliederung des Verurteilten in die kriminelle Subkultur und das Drogenmilieu mit der nicht nur theoretischen, sondern sich aus der Persönlichkeit des Verurteilten ableitenden durchaus konkreten Gefahr, dass der über kein ausreichendes Hemmungsvermögen verfügende Verurteilte in eskalierende Konfliktsituationen geraten, in solchen Situationen impulsiv reagieren und es deshalb erneut – wie bei der Anlasstat – zu Gewaltexzessen und damit zur Begehung qualifizierter Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit kommen werde. Dem Verurteilten könne daher keine hinreichend günstige Prognose im Sinne der §§ 57, 57a StGB gestellt werden.
Das OLG Karlsruhe habe entsprechend den Vorgaben des BVerfG auch geprüft, ob der Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe trotz negativer Kriminalprognose in Anwendung des § 454a Abs. 1 StPO, der die sofortige Anordnung der Entlassung mit Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt ermöglicht, deshalb zur Bewährung ausgesetzt werden müsste, weil dem Verurteilten durch die Justizvollzugsanstalt eine – die Basis der prognostischen Beurteilung erweiternde – Erprobung durch vollzugsöffnende Maßnahmen verweigert worden sei. Obwohl die Überprüfung ergeben habe, dass die Justizvollzugsanstalt ungeachtet vorangegangener Hinweise des Oberlandesgerichts dem Erfordernis, dem Verurteilten eine solche Erprobung zu ermöglichten, nicht genügend Rechnung getragen habe, habe sich dies hier im Ergebnis nicht ausgewirkt. Denn vorliegend komme der Erprobung in Lockerungen ausnahmsweise keine Relevanz für die Kriminalprognose zu, so dass kein Fall eines von der Vollzugsbehörde zu verantwortenden Prognosedefizits vorliege.
Das Oberlandesgericht habe schließlich geprüft, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Anbetracht der nunmehr über 50 Jahre andauernden Inhaftierung des Verurteilten trotz der fortbestehenden Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerer Gewalttaten eine sofortige oder zeitlich versetzte Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe gebieten könnte. Dies sei vor dem Hintergrund, dass auch nach bisheriger Rechtsprechung des BVerfG keine generelle Obergrenze für die zu verbüßende Zeit der lebenslangen Freiheitsstrafe bestehe, zu verneinen.
Die nach derzeitigem Sachstand nicht mögliche bedingte Entlassung aus der Strafhaft könne bei einer erheblichen Veränderung der gesundheitlichen Situation des Verurteilten oder dann in Betracht kommen, wenn sich dieser aufgrund zunehmender Alterung und damit einhergehender körperlicher Einschränkungen doch glaubhaft bereitfände, im Falle seiner Entlassung in einer altersgerechten und hinreichend strukturierten Umgebung, welche eine ständige Beobachtung und langfristige Betreuung gewährleistet, zu leben. In einem solche Fall wäre es Aufgabe der Vollzugs- und Vollstreckungsbehörden, für die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten einer ausreichenden entlassvorbereitenden Erprobung des Verurteilten in einer solchen Einrichtung – etwa durch ein längerfristiges dortiges „Probewohnen“ – zu sorgen und insoweit auch die Finanzierung sicherzustellen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Eine Antwort hinterlassen