Der BGH hat entschieden, dass eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler der Polizei zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses führt.
Hintergrund des Verfahrens war ein vager Tatverdacht gegen die zwei Männer, diese könnten in Geldwäsche- und Betäubungsmittelstraftaten verstrickt sein. Nachdem eine langfristige Observation sowie umfangreiche Überwachungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler aus Deutschland und den Niederlanden ein, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten versuchten, die Beschuldigten dazu zu bringen, ihnen große Mengen „Ecstasy“-Tabletten aus den Niederlanden zu besorgen. Die Beschuldigten weigerten sich, dies zu tun. Erst als einer der Verdeckten Ermittler drohend auftrat und ein anderer wahrheitswidrig behauptete, wenn er seinen Hinterleuten das Rauschgift nicht besorge, werde seine Familie mit dem Tod bedroht, halfen die Beschuldigten in zwei Fällen ohne jedes Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr von Extacy aus den Niederlanden. Diese Feststellungen hatte das Landgericht auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten getroffen, weil die Polizei nicht bereit war, die Verdeckten Ermittler offen als Zeugen vernehmen zu lassen.
Das LG Bonn hatte die zwei Beschuldigten wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen verurteilt
Nach bisher ständiger Rechtsprechung des BGH und des BVerfG reichte es in Fällen einer solchen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation durch Polizeibeamte zur Kompensation des Eingriffs aus, wenn die Strafe für den Angeklagten gemildert wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 23.10.2014 aber entschieden, dass eine solche „Strafzumessungslösung“ nicht ausreiche, um die Menschenrechtsverletzung zu kompensieren, die darin liegt, dass ein unschuldiger, unverdächtiger Mensch zum „Werkzeug“ der Kriminalpolitik gemacht wird, indem staatliche Behörden selbst ihn anstiften, eine Straftat zu begehen, um diese anschließend – zur Abschreckung anderer – bestrafen zu können. Daher war die Bundesrepublik in einem anderen Fall vom EGMR verurteilt worden.
Der BGH hat vor diesem Hintergrund die Rechtsprechung geändert, das Urteil des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren wegen eines auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhenden Verfahrenshindernisses eingestellt.
Da der Begriff der sog. „rechtsstaatwidrigen Tatprovokation“, wie ihn der EGMR definiert, weiter ist als der des BGH – also die Voraussetzungen bereits bei geringeren aktiven Einflussnahmen erfüllt sind –, gilt der Rechtssatz des EGMR, wonach eine bloße Strafmilderung nicht ausreicht, jedenfalls auch in allen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof eine rechtsstaatswidrige Provokation als gegeben ansieht, so die Auffassung des BGH. Auf der Rechtsfolgenseite sei der BGH daher nicht an die bisherige Rechtsprechung gebunden, weil diese durch die Entscheidung des EGMR überholt sei und der BGH gehalten sei, die europarechtliche Rechtsprechung des EGMR in nationales Recht umzusetzen, um weitere Verurteilungen der Bundesrepublik wegen Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Daher sei auch eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nicht geboten gewesen, denn über die Rechtsfrage, die sich gestellt habe, sei auf der Grundlage der neuen menschenrechtlichen Rechtsprechung vom BGH noch nicht entschieden.
Der BGH hat offen gelassen, ob die Rechtsfolge einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines endgültigen Verfahrenshindernisses in allen Fällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eintreten muss, wie es die Rechtsprechung des EGMR allerdings nahe legt, oder ob eine „abgestufte“ Lösung je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverletzung möglich wäre. Bei der Sachlage im konkreten Fall sei auf der Basis der Feststellungen des Landgerichts jede andere Kompensation ausgeschlossen.
Damit sei in Deutschland erstmals die rechtswidrige Überredung von Bürgern zu Straftaten durch die Polizei oder von ihr gesteuerter Personen als ein Verfahrenshindernis anerkannt worden.
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 91/2015
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