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Schussanträge zum Zugriff auf Telefonverbindungsdaten zu Ermittlungszwecken

Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe ist der Auffassung, dass auch Straftaten, die nicht von besonderer Schwere sind, einen Zugang zu den von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten personenbezogenen Daten der Nutzer rechtfertigen können, wenn dieser Zugang nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Privatlebens führt.

Die spanische Kriminalpolizei beantragte beim Ermittlungsrichter, ihr im Rahmen einer Untersuchung wegen des Raubs einer Brieftasche und eines Mobiltelefons Zugang zu den Identifikationsdaten der Nutzer der Telefonnummern zu gewähren, die in einem Zeitraum von zwölf Tagen ab dem Tag des Raubs mit dem entwendeten Mobiltelefon angerufen wurden. Der Ermittlungsrichter wies diesen Antrag u.a. mit der Begründung zurück, dass der den strafrechtlichen Ermittlungen zugrunde liegende Sachverhalt keine „schwere“ Straftat – d.h. nach spanischem Recht eine mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedrohte Straftat – darstelle und der Zugang zu Identifikationsdaten in Spanien nur bei dieser Art von Straftaten möglich sei. Das Ministerio Fiscal (Staatsanwaltschaft) legte gegen diese Entscheidung bei der Audiencia Provincial de Tarragona (Regionalgericht Tarragona, Spanien) Berufung ein. Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (RL 2002/58/EG – ABl. 2009, L 337, 11) sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Rechte der Bürger beschränken können, sofern eine solche Beschränkung für die nationale Sicherheit, die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist.

Der EuGH hat in seinen Urteilen „Digital Rights“ (Urt. v. 08.04.2014 – C-293/12 und C-594/12) und „Tele2 Sverige“ (Urt. v. 21.12.2016- C-203/15 und C-698/15) den Begriff der „schweren Straftaten“ verwendet, um die Rechtmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten zu beurteilen, die beide in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind. (Im Urteil „Digital Rights“ hat der EuGH die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG für ungültig erklärt. Im Urteil „Tele2 Sverige“ hat der EuGH entschieden, dass das Unionsrecht zum einen „einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht“, und zum anderen „einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Schutz und die Sicherheit der Verkehrs- und Standortdaten, insbesondere den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten zum Gegenstand hat, ohne im Rahmen der Bekämpfung von Straftaten diesen Zugang ausschließlich auf die Zwecke einer Bekämpfung schwerer Straftaten zu beschränken, ohne den Zugang einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde zu unterwerfen und ohne vorzusehen, dass die betreffenden Daten im Gebiet der Union auf Vorrat zu speichern sind“.)

Die Audiencia Provincial de Tarragona weist darauf hin, dass der spanische Gesetzgeber nach dem Erlass der Entscheidung des Ermittlungsrichters zwei alternative Kriterien für die Bestimmung der Schwere einer Straftat eingeführt habe, bei der die Speicherung und die Weitergabe von personenbezogenen Daten zulässig seien. Das erste Kriterium sei ein materielles Kriterium, das an das Vorliegen terroristischer Straftaten und von Straftaten, die im Rahmen einer kriminellen Gruppe oder Organisation begangen würden, anknüpfe. Das zweite Kriterium sei ein normativformales Kriterium, nämlich eine angedrohte Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren. Das spanische Gericht betont, dass diese Mindeststrafe eine deutliche Mehrheit der Straftatbestände umfassen könne. Die Audiencia Provincial de Tarragona möchte daher vom EuGH wissen, wie die Schwelle der Schwere der Straftaten zu bestimmen ist, ab der beim Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten personenbezogenen Daten im Hinblick auf die genannten Urteile ein Grundrechtseingriff gerechtfertigt sein kann.

Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe hat dem EuGH in seinen Schlussanträgen vom 03.05.2018 vorgeschlagen zu entscheiden, dass auch Straftaten, die nicht von besonderer Schwere sind, einen Zugang zu grundlegenden Metadaten der elektronischen Kommunikation rechtfertigen können, vorausgesetzt, dieser Zugang führt nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Privatlebens.

Generalanwalt Saugmandsgaard Øe stellt zunächst fest, dass eine Maßnahme wie die im vorliegenden Fall von der Kriminalpolizei beantragte einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten darstelle. Allerdings habe der EuGH in den Urteilen „Digital Rights“ und „Tele2“ einen Zusammenhang zwischen der Schwere des festgestellten Eingriffs und der Schwere der Gründe, die diesen Eingriff rechtfertigen könnten, hergestellt. Um auf der Ebene der Rechtfertigung eines solchen Eingriffs das Vorliegen einer „schweren Straftat“ zu fordern, die es erlaube, vom Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation abzuweichen, müsse es sich somit um einen schweren Eingriff handeln. An diesem Merkmal fehlt es nach Ansicht des Generalanwalts im vorliegenden Fall.

Der Generalanwalt führt weiter aus, dass die Art des in dieser Rechtssache in Rede stehenden Eingriffs sich von den Eingriffen unterscheide, um die es in den beiden genannten Urteilen gegangen sei. Es handle sich nämlich um eine gezielte Maßnahme, die auf die Möglichkeit eines Zugangs der zuständigen Behörden für die Zwecke einer strafrechtlichen Ermittlung zu Daten gerichtet sei, die von Dienstleistern für wirtschaftliche Zwecke gespeichert würden, und die ausschließlich die Identität (Name, Vorname und eventuell die Anschrift) einer begrenzten Gruppe von Teilnehmern oder Nutzern eines bestimmten Kommunikationsmittels betreffe, nämlich jene, deren Telefonnummer mit dem Mobiltelefon, dessen Diebstahl Gegenstand der Ermittlungen sei, in einem begrenzten Zeitraum, nämlich etwa zwölf Tagen, angerufen worden sei. Nach Ansicht des Generalanwalts sind die möglichen schädlichen Folgen für die von dem fraglichen Antrag auf Zugang betroffenen Personen sowohl moderat als auch begrenzt, da sie nicht für eine Verbreitung in der Öffentlichkeit bestimmt seien und die den Polizeibehörden eingeräumte Zugangsmöglichkeit von Verfahrensgarantien eingehegt sei, da sie einer richterlichen Kontrolle unterliege. Folglich sei der sich aus der Übermittlung dieser Daten über die Identität ergebende Eingriff nicht besonders schwer, weil diese Daten unter diesen besonderen Umständen die Intimität des Privatlebens der Betroffenen nicht unmittelbar und stark beeinträchtigten.

Der Generalanwalt weist darauf hin, dass nach der Richtlinie eine Abweichung vom Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation durch das Ziel des Allgemeininteresse gerechtfertigt sein könne, Straftaten zu verhüten und zu verfolgen, ohne dass deren Art näher bezeichnet würde. Die Straftaten, die die betreffende einschränkende Maßnahme rechtfertigten, müssten somit nicht zwingend als „schwer“ im Sinne der Urteile „Digital Rights“ und „Tele2“ zu qualifizieren sein. Nach Ansicht des Generalanwalts müssen nur dann, wenn der erlittene Eingriff besonders schwer ist, auch die Straftaten, die einen solchen Eingriff rechtfertigen, besonders schwer sein. Hingegen könnten im Fall eines nicht schweren Eingriffs (d.h., wenn die Daten, deren Übermittlung beantragt wird, das Privatleben nicht schwerwiegend beeinträchtigen) auch Straftaten, die nicht von besonderer Schwere seien, einen solchen Eingriff (d.h. den Zugang zu den begehrten Daten) rechtfertigen.

Konkret vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass das Unionsrecht dem Zugang der zuständigen Behörden zu Identifikationsdaten, die im Besitz von Anbietern von Kommunikationsdiensten seien, nicht entgegenstehe, wenn diese Daten es gestatten, die möglichen Täter einer Straftat, die nicht schwer sei, aufzufinden. Der Generalanwalt schließt daraus, dass die im vorliegenden Fall von der Kriminalpolizei beantragte Maßnahme im Licht der Richtlinie einen Eingriff in die durch die Richtlinie und die Charta gewährleisteten Grundrechte darstelle, der keinen ausreichenden Schweregrad erreiche, um einen solchen Zugang auf die Fälle zu beschränken, in denen die betreffende Straftat schwer sei.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 59/2018

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