Der EuGH hat entschieden, dass ein deutscher Strafbefehl übersetzt werden muss, wenn der Betroffene der deutschen Sprache nicht mächtig ist.
Das AG Düren erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft Aachen einen Strafbefehl gegen Herrn S., einen niederländischen Staatsangehörigen, und verurteilte diesen wegen Unfallflucht u.a. zu einer Geldstrafe. Der Strafbefehl war in deutscher Sprache abgefasst, nur die Rechtsbehelfsbelehrung war mit einer niederländischen Übersetzung versehen. Das LG Aachen hat zu klären, ob Herr S. rechtzeitig Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hat. Dabei steht die Frage im Raum, ob die Einspruchsfrist mit der Zustellung überhaupt zu laufen begonnen hat, oder ob der Strafbefehl gar nicht wirksam zugestellt wurde, weil ihm keine vollständige Übersetzung in niederländischer Sprache beigefügt war.
Das Landgericht hat den EuGH in diesem Zusammenhang vorab um Auslegung von Art. 3 der RL 2010/64 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren ersucht. Nach Art. 3 Abs. 1 der RL 2010/64 haben verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht verstehen, das Recht, eine schriftliche Übersetzung aller „wesentlichen Unterlagen“ zu erhalten. Art. 3 Abs. 2 der RL 2010/64 bestimmt, dass zu diesen Unterlagen jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil gehören.
Der EuGH hat dem LG Aachen wie folgt geantwortet:
Art. 3 der Richtlinie 2010/64 sei dahin auszulegen, dass ein Rechtsakt wie ein im nationalen Recht vorgesehener Strafbefehl zur Sanktionierung von minder schweren Straftaten, der von einem Richter nach einem vereinfachten, nicht kontradiktorischen Verfahren erlassen wird, eine „wesentliche Unterlage“ i.S.d. Art. 3 Abs. 1 der RL 2010/64 darstellt, von der verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des betreffenden Verfahrens nicht verstehen, gemäß den von dieser Bestimmung aufgestellten Formerfordernissen eine schriftliche Übersetzung erhalten müssten, um zu gewährleisten, dass sie imstande seien, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, und um so ein faires Verfahren zu gewährleisten.
Der im deutschen Recht vorgesehene Strafbefehl stelle zugleich eine Anklageschrift und ein Urteil i.S.d. Art. 3 Abs. 2 der RL 2010/64 dar. Wenn solcher Strafbefehl nur in der Sprache des jeweiligen Verfahrens an eine Person gerichtet werde, obwohl sie diese Sprache nicht beherrsche, so sei diese Person nicht in der Lage, die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe zu verstehen, und könne somit ihre Verteidigungsrechte nicht wirksam ausüben, wenn sie nicht eine Übersetzung des Strafbefehls in eine ihr verständliche Sprache erhalte.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 12.10.2017
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