Die Strafverteidigervereinigungen (StVV) haben zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens Stellung genommen und diesen scharf kritisiert.
Der Entwurf entlaste nicht die Justiz, heißt es in der Stellungnahme der StVV, sondern schränke wichtige Justiz-Grundrechte von Bürgern ein. Kritisiert werden insbesondere Eingriffe in den Bereichen Beweisantrags-, Besetzungsrüge- und Befangenheitsrecht (die sog. „drei B“), die wichtige, auch durch die Verfassung geschützte Justiz-Grundrechte beschuldigter Bürger schützten.
Mit den vorgeschlagenen Einschränkungen werde das Strafverfahren erheblich an Qualität verlieren: Das Befangenheitsrecht schütze ebenso wie die Möglichkeit einer Besetzungsrüge das Recht Angeklagter auf einen unvoreingenommenen und unparteilichen Richter. Mit der geplanten Reform werde die Besetzungsrüge „de facto abgeschafft“; ein Richter, den ein Angeklagter für befangen halte, solle bis zu zwei Wochen weiter verhandeln dürfen.
Am gravierendsten greife der Entwurf in das Beweisantragsrecht ein. Für Angeklagte, die am Ermittlungsverfahren i.d.R. nicht beteiligt seien, stellten Beweisanträge in der Hauptverhandlung die einzige Möglichkeit dar, der ermittelten „Wahrheit“ von Polizei und Staatsanwaltschaft ihre eigene Version entgegenzustellen. Diese Möglichkeit solle empfindlich beschnitten, das Strafverfahren solle widerspruchsarmer gestaltet werden. Damit steige zugleich das Risiko falscher Verurteilungen erheblich. „Womit wir hier zu tun haben, ist kein Modernisierungsgesetz“, sagt Geschäftsführer Jasper von Schlieffen, „sondern ein staatliches Förderprogramm für Fehlurteile.“
Dies legten die Strafverteidiger auch anhand praktischer Beispielfälle (in einer Hintergrundbroschüre) dar.
Ziel des Strafverfahrens sei die Ermittlung der Wahrheit hinter einem Tatvorwurf, nicht eine möglichst schnelle Erledigung. Dieses Ziel dürfe nicht aus vermeintlichen Effizienzerwägungen aufgegeben werden, zumal weder die Dauer noch die absolute Zahl von Strafverfahren deutlich zugenommen habe. Es schütze beschuldigte Bürger vor falschen Verurteilungen. Kritisiert werde daher auch die Begründung des Entwurfs, das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz habe aufgrund zu langer Verfahren abgenommen.
Es gebe viele Möglichkeiten, das Strafverfahren besser zu gestalten, bspw. durch die Einführung einer verpflichtenden Dokumentation von Zeugenvernehmungen oder der Hauptverhandlung mit Ton- oder Videoaufzeichnungen. Deutschland hinke hier weit hinter europäischen Standards zurück. Diese Modernisierung werde von der Regierung u.a. aus Kostengründen aber weiter abgelehnt, was die Strafverteidiger kritisieren.
Weitere Informationen
PDF-Dokument Stellungnahme der StVV zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 21.10.2019 (PDF, 728 KB)
juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung der StVV v. 04.11.2019
Eine Antwort hinterlassen