Das BVerfG hat entschieden, dass ein Angeklagter in einem Strafverfahren bereits vor seiner Zustimmung zu einer Verständigung belehrt werden muss.
Mit Urteil vom 19.12.2012 verurteilte das LG Berlin den Beschwerdeführer wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Dem Urteil ging eine Verständigung voraus, die der Verteidiger des Beschwerdeführers initiiert hatte. Die Strafkammer stellte dem Beschwerdeführer in Aussicht, eine Freiheitsstrafe von nicht über sechs Jahren und sechs Monaten zu verhängen, wenn dieser u.a. ein glaubhaftes Geständnis ablege und auf sämtliche sichergestellten Gelder und Gegenstände verzichte. Der Beschwerdeführer, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft stimmten dem Vorschlag der Strafkammer zu; erst anschließend wurde der Beschwerdeführer gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt. Das Geständnis legte der Angeklagte im folgenden Hauptverhandlungstermin eine Woche später ab. Mit seiner Revision rügte der Beschwerdeführer, dass das LG Berlin ihn nicht bereits bei Unterbreitung des Verständigungsvorschlages belehrt habe.
Der BGH hatte die Revision mit Urteil vom 07.08.2013 verworfen.
Das BVerfG hat das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Revisionsurteil des BGH aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BVerfG muss die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung des Angeklagten im Rahmen einer Verständigung nicht nur vor seinem Geständnis, sondern bereits vor seiner Zustimmung zu der Verständigung erfolgen. Dies folge aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass jede Person über ihre Mitwirkung im Strafverfahren frei entscheiden kann. Werde der Angeklagte erst nach seiner Zustimmung zu der Verständigung belehrt, beruhten sein Geständnis und das Strafurteil im Regelfall auf dieser Grundrechtsverletzung. Für eine anderweitige Beurteilung im Einzelfall müsse das Revisionsgericht konkrete Feststellungen treffen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
Die angegriffenen Urteile des LG Berlin und des BGH verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
1. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang. Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt.
Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird es dem Angeklagten in die Hand gegeben, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen – die er ebenfalls kennen muss – entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit.
Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung wird bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil hierauf beruht. Kann eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis ausnahmsweise ausgeschlossen werden, muss das Revisionsgericht hierzu konkrete Feststellungen treffen.
2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen die angegriffenen Urteile nicht.
Der BGH verkennt die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht für die betroffenen Grundrechte. Er schließt ein Beruhen des Geständnisses (und damit auch des landgerichtlichen Urteils) auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus, weil davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer es auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Indes beruht diese Schlussfolgerung nicht auf Feststellungen, die die Willensbildung des Beschwerdeführers konkret in den Blick nehmen. Vielmehr liegt ihnen die generalisierende Annahme zugrunde, dass ein anwaltlich verteidigter Angeklagter jedenfalls dann nicht mehr unter dem Eindruck der zunächst ohne Belehrung geschlossenen Verständigung steht, wenn das nach einer Überlegungsfrist von einer Woche abgelegte Geständnis unter Mitwirkung seines Verteidigers entstanden ist und dieser die Verständigung selbst initiiert hat. Eine solchermaßen vom Einzelfall losgelöste Prüfung, ob das Urteil auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht beruht, ist mit dem oben genannten Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in Einklang zu bringen.
Aus diesem Grund ist das angegriffene Urteil des BGH aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Es ist nicht auszuschließen, dass der BGH bei Anwendung des verfassungsrechtlich gebotenen Maßstabs zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
Quelle: juris GmbH
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