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Allgemeines Strafrecht

Zustellung eines Strafbefehls an Beschuldigte ohne festen Wohnsitz oder Aufenthalt

Der EuGH hatte mehrere Fragen im Zusammenhang mit der Zustellung eines Strafbefehls an Beschuldigte ohne festen Wohnsitz oder Aufenthalt zu entscheiden.

Nach deutschem Strafverfahrensrecht hat ein Beschuldigter, der keinen festen Aufenthalt im Inland hat und weder dort noch in seinem Herkunftsmitgliedstaat einen festen Wohnsitz hat, für die Zustellung eines an ihn gerichteten Strafbefehls einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Die Frist für einen Einspruch gegen den Strafbefehl – bevor dieser vollstreckbar wird – läuft ab der Zustellung des Strafbefehls an diesen Bevollmächtigten. Mit Ablauf dieser Frist wird der Strafbefehl rechtskräftig. Der Beschuldigte hat jedoch die Möglichkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, wenn er vom fraglichen Strafbefehl tatsächlich keine Kenntnis hatte. Auf diese Weise verfügt er faktisch über eine ebenso lange Frist für den Einspruch gegen den Strafbefehl, die zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem die betroffene Person Kenntnis von dem Strafbefehl erlangt.
Das AG München und das LG München I möchten vom EuGH wissen, ob die Richtlinie 2012/13 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren einer solchen Regelung entgegensteht (wie der EuGH bereits entschieden hat, ist die Zustellung eines Strafbefehls als eine Form der Unterrichtung über den Tatvorwurf anzusehen). Das Amtsgericht bzw. das Landgericht sind mit Strafverfahren gegen Herrn Ianos T. und Herrn Ionel O. wegen Diebstahls sowie gegen Frau Tanja R. wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte befasst. Die Beschuldigten haben weder in Deutschland noch in ihren Herkunftsländern einen festen Wohnsitz oder Aufenthalt.

Der EuGH hat dem AG München und dem LG München I wie folgt geantwortet:

Art. 2, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie denen der Ausgangsverfahren nicht entgegenstehen, die im Rahmen eines Strafverfahrens vorsehen, dass ein Beschuldigter, der in diesem Mitgliedstaat keinen festen Aufenthalt hat und weder dort noch in seinem Herkunftsmitgliedstaat einen festen Wohnsitz hat, für die Zustellung eines an ihn gerichteten Strafbefehls einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen hat und dass die Frist für einen Einspruch gegen den Strafbefehl – bevor dieser vollstreckbar wird – ab der Zustellung des Strafbefehls an diesen Bevollmächtigten läuft.

Art. 6 der Richtlinie 2012/13 verlangt jedoch, dass bei der Vollstreckung des Strafbefehls die betroffene Person, sobald sie von dem Strafbefehl tatsächlich Kenntnis erlangt hat, in die gleiche Lage versetzt wird, als sei ihr der Strafbefehl persönlich zugestellt worden, und insbesondere über die volle Einspruchsfrist verfügt, gegebenenfalls durch ihre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Es obliegt dem vorlegenden Gericht, darauf zu achten, dass das nationale Verfahren der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Voraussetzungen für die Durchführung eines solchen Verfahrens im Einklang mit diesen Anforderungen angewandt werden und dass dieses Verfahren somit die wirksame Ausübung der Rechte nach Art. 6 der Richtlinie 2012/13 ermöglicht.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 22.03.2017

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